4. Vom Königreich Böhmen in die Tschechoslowakische Republik

Die furchtbaren Spuren, die der Erste Weltkrieg durch Europa zog, trafen auch die kleine Böhmerwaldgemeinde Glöckelberg. Abgesehen von den Nöten und  Entbehrungen gaben in den Jahren 1914 – 1918 54 Männer ihr Leben für „Gott – Kaiser – Vaterland“. Am 21.11.1916 starb der greise Kaiser, sein Nachfolger Karl I. versuchte vergeblich, einen Frieden zu erreichen. Nach dem Regierungsverzicht von Kaiser Karl wurde am  12.11.1918 die „Republik Deutschösterreich“ ausgerufen: Kein „Kaiser“, das „Vaterland“ hart und heftig umstritten, das war die Ausgangsposition für die so genannten „Friedensverhandlungen“ in Paris. Von Anfang an standen sich in der Frage der Sudetendeutschen zwei unvereinbare und unversöhnliche  Standpunkte gegenüber : Die tschechische Seite verlangte für die ausgerufene Republik die historischen Grenzen des Königreiches Böhmen, die deutsche forderte das Recht auf Selbstbestimmung. Den Besiegten wurde dieses Recht verweigert. Tschechisches Militär besetzte die Sudetengebiete, die unter militärisches Standrecht gestellt wurden. Es kam zu blutigen Zusammenstößen, die 54 Tote forderten.
Am 12. Mai 1919 traf die 60 Personen umfassende österreichische Delegation in Paris ein, der auch Vertreter des Sudetenlandes angehörten. Nach zweimaliger Urgenz wurden ihr am 2. Juni die Friedensbedingungen überreicht und ihr eine Frist von 14 Tagen für schriftliche Bemerkungen gewährt. Die Empörung und Bestürzung über dieses Diktat verbreitete sich in allen betroffenen Gebieten. Österreich musste nicht nur auf alle deutsch besiedelten  Gebiete in Böhmen verzichten, sondern auch auf kleinere Gemeinden in den Gerichtsbezirken im Norden Niederösterreichs, z. B auf den Bahnhof  von Gmünd.
Nach umfangreichen Einwänden wurde, ohne dass auch nur ein Einwand Berücksichtigung gefunden hätte, der Delegation eine Frist von 5 Tagen zur Unterzeichnung gewährt, widrigenfalls die Friedensbedingungen mit Waffengewalt durchgesetzt werden würde. Die Delegation unterzeichnete unter Protest am 6. September 1919, die Ratifikationsurkunde wurde am 5. November übergeben und die Sudetendeutschen wurden de jure an diesem Tag Staatsbürger der Tschechoslowakischen Republik.
Nach bekannt werden der Friedensbedingungen schrieb die Neue Züricher Zeitung am 4. Juni 1919 : „…Die Grenzen sind überall so ungünstig wie möglich gezogen, und große Bezirke, die unzweifelhaft deutsch sind und den Anschluß an die junge deutsch-österreichische Republik wünschen, werden ohne Befragung der Bevölkerung fremden Staaten zugeteilt … Österreich würde durch die Friedensbedingungen der Entente so sehr verstümmelt, dass es innerhalb und außerhalb seiner Grenzen nie an Intrigen fehlen würde, die darauf abzielen, die ihm jetzt entrissenen Brüder wieder mit ihm zu vereinigen. Die Frage Deutschsüdtirols, Deutschwestungarns, auch Deutschböhmens wird neben der Frage des Anschlusses an Deutschland eine beständige Agitation ins Leben rufen, von der die ewigen Grenzfehden der letzten Wochen möglicherweise nur eine schwache Vorahnung sind. Soll dies der Beginn einer Ära des Friedens und der Ruhe sein?“
Und am 5. Juni 1919 : „…die Tschechoslowakei büßt durch die Zuteilung so weiter, rein deutschsprachiger Gebiete ihren Charakter als jener Nationalstaat, für den seinerzeit Masaryk, Kramář, Beneš sich eingesetzt haben, völlig ein; sie wird zum verkleinerten Abbild des alten Österreich mit seinem Völkergemisch, mit einer deutschen und einer magyarischen Minderheit und einer slawischen Mehrheit.“ (Ende der Zitate aus der Neuen Züricher Zeitung).
Die Tschechoslowakische Republik, die ihr Entstehen den am 8.1.1918 vom Präsidenten Wilson deklarierten Kriegszielen verdankt, wonach  gemäß Punkt 10. „Den Völkern Österreich – Ungarn, deren Platz unter den Nationen gefestigt und gesichert zu sehen wünschen, sollte die freie Möglichkeit autonomer Entwicklung gewährt werden“,  verweigerte dieses Recht den Sudetendeutschen. Das Selbstbestimmungsrecht galt für die Sieger, nicht für die Besiegten.

     Dr. Othmar Hanke